Seid laut und sichtbar! Interview mit Till Hofmann

Seid laut und sichtbar!

Kaum ein andere kennt sich in München mit Orten, Räumen und Gelegenheiten für Kunst und Kultur so gut aus wie Till Hofmann. Zeit für ein Gespräch über Kinderkultur an der Isar.

Till Hofmann

 

Wie definierst Du eigentlich Kultur?

Der Kulturbegriff – egal, ob im Zusammenhang mit Erwachsenen oder Kindern – ist vielfältig und hängt wohl auch von individuellen Erfahrungen ab. Der kleinste gemeinsame Nenner ist für mich jedoch, dass sich in Kultur eine spielerisch erreichte Übereinkunft zwischen Menschen und ihren Lebenswelten zeigt.

Kultur speist sich aus Erinnerungen und Erlebnissen, aus Spielen, die man in seiner Kindheit erlernt hat, oder auch aus Inszenierungen bzw. Geschichten, die man selbst erlebt hat oder die vermittelt wurden. Diese Mischung ist sehr individuell; das ist die Basis von gelebter Kultur.

Wenn ich heute auf die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen schaue, sehe ich, dass kulturelle Erfahrungsräume und Ausdrucksmöglichkeiten viel zu wenig in den Lehrplänen verankert sind. Kultur bedeutet eben auch, dass man künstlerisch – beim Musikmachen, im Theaterspielen, bei der Verwendung von Ironie, beim Streiten und in Diskussionen – selbst zum Akteur wird. Das alles hat in der Schule meiner Meinung nach weniger Stellenwert als wirtschaftlich geprägte Themen.

Als ich Kind war, hatte ich das große Glück, dass es in meiner Schule engagierte Lehrer gab, die mit uns zwei Schultheatertage pro Jahr auf die Beine gestellt haben. Man ist ins Theater gefahren und wurde inspiriert. Heute ist kaum mehr Platz für das Schultheater – aber irgendwo muss man ja anfangen, eigene Ausdrucks- und Präsentationsmöglichkeiten zu besetzen. Mir fehlt im doppelten Sinne des Wortes der spielerische Umgang mit Kunst und Kultur für die Jüngsten.

 

Es gibt also kein „zu jung“ für kulturelle Erfahrungen und eigene kulturelle Ausdrucksformen?

Das gibt es tatsächlich nicht, und man muss diese Form der kulturellen Bildung fördern! Ich fürchte, dass wir viel Potenzial ungenutzt lassen, wenn man diese kulturelle Öffnung nicht unterstützt. Man muss Kindern Möglichkeiten bieten – für Anerkennung sorgen, wenn sie kulturell aktiv sind. In diesem Prozess passiert viel mehr – nämlich die Stärkung der Persönlichkeiten und des Selbstbewusstseins.

Bei Jugendlichen ist es dann später so, dass mit der kulturellen Auseinandersetzung auch Haltungen entstehen. Sie lernen in diesem Kontext, Debatten zu führen, lernen, dass man nicht immer recht haben kann, dass es Wahrheit und Lüge zu erkennen gilt. Das ist nichts anderes als frühe Demokratieförderung.

 

Kinderkultur zeichnet sich durch Unvoreingenommenheit aus. Wie gelingt es, diese möglichst lange zu bewahren?

Diese Unvoreingenommenheit bedeutet, dass es einen großen Kosmos aus Phantasie und Formensprachen bei Kindern gibt – und in gewisser Weise auch kindliche Anarchie. Das müsste man bewahren. Es wäre wohl schon viel erreicht, wenn wir uns in der Gesellschaft unabhängig von unserem Alter gegenseitig Geschichten aus der Lebenswelt des Anderen erzählen.

 

Kunst und Kultur brauchen Räume, die Bühne. Wie sieht es da in München aus, speziell für Kinder?

Es gibt mehrere Theater für Kinder, Mini-München und es gibt zum Beispiel KiKS. Hin und wieder gibt es Kindermusical-Produktionen. Aber für die Menge der Kinder in München ist das wohl noch viel zu wenig. Es brauchte tatsächlich offenere und wildere Räume.

In Wien gibt es beispielsweise den „Dschungel“ im Museumsquartier, wo Kinder schon sehr früh selbst aktiv werden können – von Tanz bis Theaterspiel. In solche Angebotsformen muss man natürlich Geld investieren. In München findet das gerade im alten Gasteig statt. Mini München wird dort auch Platz finden. Das trägt dazu bei, dass Kinderkultur in der Stadt sichtbar und erlebbar wird. Es geht auch darum, Kinderkultur an etablierten Orten der Kultur sichtbar zu machen.

 

Ist die Landeshauptstadt dafür offen?

München ist bereit dafür. Wenn man eine gute Idee hat, findet man in München schon Unterstützung vonseiten der Stadt. Aber es braucht mehr Lobbyarbeit, um das Thema Kinder- und Jugendkultur in die Lehrpläne zu bringen. Wir brauchen mehr kulturelle Bildung, denn es gibt einen Artikel im Grundgesetz, der ein Recht auf Kultur auch für Kinder einfordert. Das bedeutet nicht nur, dass Kultur konsumiert wird, sondern alle selbst aktiv werden können sollen.

 

Müssen wir also größere kulturpolitische Allianzen schmieden?

Man muss natürlich mit der Stadt und dem Land sprechen und dem Thema auf diesen Ebenen Gewicht verleihen. Und ich denke, dass wir auch die Eltern noch stärker einbinden müssen, sie über die Angebote in der Stadt noch besser informieren. Dazu müssen wir auch zu den Familien hingehen – dorthin, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben, in den Stadtteilen, in Kindertagestätten oder Schulen. Und ganz wichtig: wir müssen die Schulhöfe für Kinder- und Jugendkultur öffnen und damit zeigen, dass Kultur überall stattfinden kann.

 

Wie können wir wirklich alle erreichen?

Solche Angebote und Räume müssen natürlich niedrigschwellig sein. Ich befürchte, dass es eine Sisyphusarbeit ist und man jeder Generation wieder neu vermitteln muss, dass sie ihre kulturellen Rechte wahrnehmen. Die Lebenswelten sind einfach zu verschieden und dynamisch – da hilft nur Wiederholung.

Bei Kindern muss man dieses Thema noch stärker institutionell verankern. Kinder und Familien mit Migrationsbiografien können so besser erreicht werden, denn es gibt zum Beispiel den gemeinsamen Erlebnisraum Schule. Noch einmal: In der Schule muss Kultur verankert sein, sie muss ihre Räume für alle Gruppen öffnen. Dann können wir einen sehr weit gefassten Kulturbegriff etablieren. In solchen Räumen treffen verschiedenste Menschen aufeinander und können gemeinsam etwas Neues entstehen lassen. Dabei feiert man miteinander oder man kocht gemeinsam oder spielt zusammen … Kinderkultur ist weit mehr als eine Hüpfburg.

 

Werden die Räume für Kultur in München enger?

Es tun sich immer wieder neue Chancen auf, Räume öffnen sich. Da wäre ich nicht so pessimistisch. Die Frage ist eher, wie man Menschen motivieren kann, diese Räume zu bespielen. Dazu braucht es einerseits gut bezahlte Fachkräfte, die Kinder- und Jugendkultur ermöglichen – und es braucht eine breite ehrenamtliche Basis, um das alles bezahlbar für die Familien zu machen.

Es darf nicht vom Glück abhängen, ob man kulturell aktiv werden kann. Alle Kinder die hier in München leben, müssen diese Möglichkeiten bekommen.

 

Da wäre ja auch die Stadtplanung gefragt, um Fehler aus der Vergangenheit zu vermeiden …

Man kann es immer besser machen. Bei der Stadtpolitik rennt man da offenen Türen ein mit Kinderprojekten und guten Konzepten. Ich weiß, dass die Bürgermeister*innen mitziehen. Parallel dazu muss man an den Lehrplänen ansetzen. Hier ist das Land in der Pflicht, die Gewichtung der Lehrplaninhalte zugunsten von Kunst und Kultur neu auszuloten.

 

Deine Botschaft an die Kinder dieser Stadt?

Seid laut, lasst es krachen, lasst euch nix gefallen und traut euch, das zu machen, worauf ihr Lust habt! Alle dürfen laut sein und müssen ihren Raum für Kinder- und Jugendkultur einfordern. Die Stadtgesellschaft muss diese Räume und Gelegenheiten ermöglichen. Kinder- und Jugendkultur darf nicht nur für Gutverdienende zugänglich sein.

Interview: Marko Junghänel