Interview mit Colin Djukic von der KiKS-Koordinationsstelle

Colin Djukic koordiniert seit 2017 KiKS – den Kinder-Kultur-Sommer in München. Ein Gespräch über Intention und Wirkung des bundesweit größten Festivals, das Kinderkultur von, mit und für die Jüngsten bietet.

Was ist KiKS und was will das Projekt eigentlich erreichen?

KiKS – der Kinder-Kultur-Sommer – ist formal gesehen ein Netzwerk, das im Auftrag und in Zusammenarbeit der für kulturelle Bildung zuständigen Referate der Landeshauptstadt München (Sozialreferat, Kulturreferat, Referat für Bildung und Sport) arbeitet. Zentraler Höhepunkt unserer Arbeit ist das jährlich stattfindende KiKS-Festival, das jeweils an einem verlängerten Wochenende um Pfingsten herum auf der Schwanthalerhöhe stattfindet. Dabei wird die ganze Bandbreite kinderkultureller Angebote von und für Kinder bzw. Familien in Form von Workshops und Mitmach-Angeboten zentral an einem Ort sicht- und erlebbar gemacht. Zudem gibt es mit der großen Bühne in der Alten Kongresshalle und den Außenbühnen auf dem Gelände fantastische Möglichkeiten für Projektpräsentationen von Kindern und Jugendlichen vor einem großen Publikum. Ergänzend zum Festival will „KiKS unterwegs“ die vielen kinderkulturellen über die Stadt verteilten Einrichtungen und Angebote in München in den Fokus rücken.

Ein weiterer Gedanke bei der Gründung des KiKS-Netzwerks war zudem der Wunsch, sich für die Förderung und Weiterentwicklung von Kinderkultur einzusetzen. Dazu gehören politische Vernetzungsarbeit, Qualifizierung von Fachkräften und der fachliche Austausch. Wir organisieren beispielsweise Exkursionen und Fachveranstaltungen – veröffentlichten einmal im Jahr mit der „KiKS-Blende“ ein Magazin, das sich an Expert:innen richtet und je ein spannendes Thema aus dem Bereich kulturelle Bildung intensiv und praxisbezogen beleuchtet.

Worin unterscheidet sich das Projekt von vergleichbaren Initiativen?

Das KiKS-Festival hat inzwischen eine enorme Strahlkraft entwickelt und erreicht mehr als 2.000 Besucher:innen pro Tag, die während des Festivals verschiedenste kinderkulturelle Aktivitäten kennenlernen und Gleichaltrige auf den Bühnen erleben. Das soll vor allem Lust machen, nach dem Festival selbst aktiv am kinderkulturellen Leben in der Stadt teilzunehmen. Partizipation und Mitbestimmung sind dabei immer ein Thema. Das Festival präsentiert mit „Stadt-Ansichten“ einen Themenbereich, der sich mit Stadt-Öffentlichkeit, Partizipation und Mitbestimmung beschäftigt. 2019 gab es ein Special zu Kinderrechten – viele andere Aspekte kommen hinzu.

Unser Alleinstellungsmerkmal ist die große Bandbreite von Angeboten – verbunden mit einer großen Wirkung in die Öffentlichkeit hinein. So ein großes Festival nutzt diese Öffentlichkeit, um kulturelle Teilhabe anzuregen und Wahrnehmbarkeit von Kinderkultur und den (kulturellen) Anliegen von Kindern zu initiieren.

Geht das Konzept damit auf?

Das KiKS-Festival ist als Highlight der Kinderkultur fest in der Stadt und in der Fachwelt etabliert. Viele Familien und Kinder aus ganz München kommen immer gern wieder. Zudem sind wir sehr gut im Stadtteil verankert; auf der Schwanthalerhöhe kann man sich einen Sommer ohne KiKS-Festival vermutlich gar nicht mehr vorstellen.

Auf der großen Bühne oder den Außenbühnen vor so vielen Menschen auftreten zu können, ist besonders für Tanzgruppen, Bands und Artist:innen unwahrscheinlich attraktiv. Die Stimmung auf dem Platz wird von „Klein und Groß“ sehr geschätzt. Man taucht nach Lust und Laune in die verschiedenen Themeninseln ein – man lässt sich durch die Angebote treiben, bleibt irgendwo hängen, schaut oder hört zu – das ist schon eine einzigartige Atmosphäre.

Was kann Kinderkultur in der Stadtgesellschaft bewirken?

Kultur ist ja kein starrer Begriff – im Sinne von: ich habe diese Kultur, du jene und die existieren nebeneinander her, ohne sich gegenseitig zu berühren. Insofern ist Kultur so etwas wie ein stetiger Aushandlungsprozess; bei KiKS wird beispielsweise auch ausgehandelt, wo es für kinderkulturelle Praktiken Platz und Präsentationsfläche gibt. Kulturell aktiv zu sein, ist zunächst eine individuelle Erfahrung und ermöglicht persönlichen Ausdruck. Aus dem Zusammentreffen verschiedener kultureller Praktiken soll und wird aber immer etwas Neues entstehen. Anders gesagt: das ganze KiKS-Festival ist mehr als die Summe der einzelnen Beiträge. Es entsteht ganz automatisch eine neue Gemeinschaft, die an vielen Stellen zusammenfindet. Kinder und Jugendliche aus den verschiedensten Zusammenhängen und mit den verschiedensten Hintergründen erleben sich und ihresgleichen auf dem KiKS-Festival als gemeinsam kulturell Agierende, und Erwachsene erhalten spannende und überraschende Einblicke in die Lebenswelt junger Menschen. Das KiKS-Blog auf kiks-festival.online, das während des Festivals von Kindern bespielt wird, hält davon einige auch nach dem Festival bereit.

Welche Facetten von Stadtgesellschaft sieht man beim Festival?

Ich glaube nicht, dass wir alle kulturell geprägten Facetten der Stadtgesellschaft auf dem Festival abbilden müssen. Das ist auch nicht der Ansatz; dafür ist vermutlich die Spielstadt Mini München eher geeignet.

Das KiKS-Festival stellt kulturelle Erfahrungsräume und Präsentationsflächen zur Verfügung, auch wenn die sehr vielfältiger Natur sind und beispielsweise auch Nachhaltigkeit und Verkehr zum Thema haben. Aber natürlich sind wir bestrebt, immer neue Erfahrungsmöglichkeiten anzubieten und das Festival jedes Jahr „neu zu erfinden“. Damit erfassen wir automatisch neue Zielgruppen und Teilnehmende.

Was geschieht zwischen den jährlichen KiKS-Terminen kinderkulturell in der Stadt?

Auf dem KiKS-Festival präsentiert sich eine Auswahl des großen kinderkulturellen Angebots in der Landeshauptstadt – getragen von unterschiedlichsten Anbieter:innen. Die sind auch unter dem Jahr aktiv und halten in ganz München spannende Angebote vor. Bester Beleg dafür ist „KiKS unterwegs“, wo wir solche Orte für die Bürger:innen auf einer Karte markieren.

Die Frage ist eher, wieviel Zeit und Muße Kinder angesichts von Schule und vielen anderen Verpflichtungen für eigenverantwortliche kulturelle Tätigkeiten haben. Wahrscheinlich brauchen wir alle ein wenig mehr Zeit, um die Angebote auch wirklich nutzen zu können. Ich bin da zuversichtlich. Es ist ja auch nicht so, dass Chöre, Tanz- oder Sportgruppen für Kinder und mit Kindern keinen Zulauf hätten. Die Szene ist vital – ein wenig mehr Interesse von Erwachsenen für Kinderkultur könnte aber auch nicht schaden …

Was wünschst du dir von einer weltoffenen und kulturell engagierten Stadt wie München?

Es gibt generell zu wenige Proberäume und Ateliers. Diese Räume für Auftritte und Präsentationen abseits der etablierten „Hochkultur“ sind schwer zu finden. Das gilt schon für Erwachsene – mehr noch für Kinder und Jugendliche. Hier ist die Ermöglichung von mehr Eigenverantwortung und Mitbestimmung angezeigt. Ich wünsche mir beispielsweise mehr Möglichkeiten für Self-Publishing, Auftrittsmöglichkeiten für Kinder und Jugendbands auch abseits von gängigen Kinder- und Jugendeinrichtungen, sondern auch in allen Kulturzentren und Musikclubs der Stadt. Dafür müsste aber in den Köpfen ankommen, dass Kinder und Jugendliche als eigenständig kulturell agierende und schöpfende Personen wahrgenommen und wertgeschätzt werden wollen. Ihren künstlerischen Äußerungen muss Raum und Gelegenheit gegeben werden.

Ach ja – da gibt es ja noch die Schule. Welche Rolle spielt die oder soll sie spielen?

Die Schule nimmt schon zeitlich ein sehr großes Stück vom Kuchen der zur Verfügung stehenden Freizeit von Kindern und Jugendlichen in Beschlag. Sie hat zudem neben der Familie den größten Einfluss auf die Entwicklung von Kindern. Damit man eine eigene kulturelle Identität ausbilden kann, muss man Zugang zu Instrumentarien und Zugang zu Kulturereignissen haben. In beidem ist die Schule erfolgreich, aber genauso wichtig sind Foren für Austausch und eigenverantwortliches kulturelles Handeln außerhalb der Schule. Das muss sich ergänzen – beim KiKS-Festival können wir in dem Zusammenhang hoffentlich auch neue Netzwerke und Kooperationen initiieren.

Interview: Marko Junghänel

Seid laut und sichtbar! Interview mit Till Hofmann

Seid laut und sichtbar!

Kaum ein andere kennt sich in München mit Orten, Räumen und Gelegenheiten für Kunst und Kultur so gut aus wie Till Hofmann. Zeit für ein Gespräch über Kinderkultur an der Isar.

Till Hofmann

 

Wie definierst Du eigentlich Kultur?

Der Kulturbegriff – egal, ob im Zusammenhang mit Erwachsenen oder Kindern – ist vielfältig und hängt wohl auch von individuellen Erfahrungen ab. Der kleinste gemeinsame Nenner ist für mich jedoch, dass sich in Kultur eine spielerisch erreichte Übereinkunft zwischen Menschen und ihren Lebenswelten zeigt.

Kultur speist sich aus Erinnerungen und Erlebnissen, aus Spielen, die man in seiner Kindheit erlernt hat, oder auch aus Inszenierungen bzw. Geschichten, die man selbst erlebt hat oder die vermittelt wurden. Diese Mischung ist sehr individuell; das ist die Basis von gelebter Kultur.

Wenn ich heute auf die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen schaue, sehe ich, dass kulturelle Erfahrungsräume und Ausdrucksmöglichkeiten viel zu wenig in den Lehrplänen verankert sind. Kultur bedeutet eben auch, dass man künstlerisch – beim Musikmachen, im Theaterspielen, bei der Verwendung von Ironie, beim Streiten und in Diskussionen – selbst zum Akteur wird. Das alles hat in der Schule meiner Meinung nach weniger Stellenwert als wirtschaftlich geprägte Themen.

Als ich Kind war, hatte ich das große Glück, dass es in meiner Schule engagierte Lehrer gab, die mit uns zwei Schultheatertage pro Jahr auf die Beine gestellt haben. Man ist ins Theater gefahren und wurde inspiriert. Heute ist kaum mehr Platz für das Schultheater – aber irgendwo muss man ja anfangen, eigene Ausdrucks- und Präsentationsmöglichkeiten zu besetzen. Mir fehlt im doppelten Sinne des Wortes der spielerische Umgang mit Kunst und Kultur für die Jüngsten.

 

Es gibt also kein „zu jung“ für kulturelle Erfahrungen und eigene kulturelle Ausdrucksformen?

Das gibt es tatsächlich nicht, und man muss diese Form der kulturellen Bildung fördern! Ich fürchte, dass wir viel Potenzial ungenutzt lassen, wenn man diese kulturelle Öffnung nicht unterstützt. Man muss Kindern Möglichkeiten bieten – für Anerkennung sorgen, wenn sie kulturell aktiv sind. In diesem Prozess passiert viel mehr – nämlich die Stärkung der Persönlichkeiten und des Selbstbewusstseins.

Bei Jugendlichen ist es dann später so, dass mit der kulturellen Auseinandersetzung auch Haltungen entstehen. Sie lernen in diesem Kontext, Debatten zu führen, lernen, dass man nicht immer recht haben kann, dass es Wahrheit und Lüge zu erkennen gilt. Das ist nichts anderes als frühe Demokratieförderung.

 

Kinderkultur zeichnet sich durch Unvoreingenommenheit aus. Wie gelingt es, diese möglichst lange zu bewahren?

Diese Unvoreingenommenheit bedeutet, dass es einen großen Kosmos aus Phantasie und Formensprachen bei Kindern gibt – und in gewisser Weise auch kindliche Anarchie. Das müsste man bewahren. Es wäre wohl schon viel erreicht, wenn wir uns in der Gesellschaft unabhängig von unserem Alter gegenseitig Geschichten aus der Lebenswelt des Anderen erzählen.

 

Kunst und Kultur brauchen Räume, die Bühne. Wie sieht es da in München aus, speziell für Kinder?

Es gibt mehrere Theater für Kinder, Mini-München und es gibt zum Beispiel KiKS. Hin und wieder gibt es Kindermusical-Produktionen. Aber für die Menge der Kinder in München ist das wohl noch viel zu wenig. Es brauchte tatsächlich offenere und wildere Räume.

In Wien gibt es beispielsweise den „Dschungel“ im Museumsquartier, wo Kinder schon sehr früh selbst aktiv werden können – von Tanz bis Theaterspiel. In solche Angebotsformen muss man natürlich Geld investieren. In München findet das gerade im alten Gasteig statt. Mini München wird dort auch Platz finden. Das trägt dazu bei, dass Kinderkultur in der Stadt sichtbar und erlebbar wird. Es geht auch darum, Kinderkultur an etablierten Orten der Kultur sichtbar zu machen.

 

Ist die Landeshauptstadt dafür offen?

München ist bereit dafür. Wenn man eine gute Idee hat, findet man in München schon Unterstützung vonseiten der Stadt. Aber es braucht mehr Lobbyarbeit, um das Thema Kinder- und Jugendkultur in die Lehrpläne zu bringen. Wir brauchen mehr kulturelle Bildung, denn es gibt einen Artikel im Grundgesetz, der ein Recht auf Kultur auch für Kinder einfordert. Das bedeutet nicht nur, dass Kultur konsumiert wird, sondern alle selbst aktiv werden können sollen.

 

Müssen wir also größere kulturpolitische Allianzen schmieden?

Man muss natürlich mit der Stadt und dem Land sprechen und dem Thema auf diesen Ebenen Gewicht verleihen. Und ich denke, dass wir auch die Eltern noch stärker einbinden müssen, sie über die Angebote in der Stadt noch besser informieren. Dazu müssen wir auch zu den Familien hingehen – dorthin, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben, in den Stadtteilen, in Kindertagestätten oder Schulen. Und ganz wichtig: wir müssen die Schulhöfe für Kinder- und Jugendkultur öffnen und damit zeigen, dass Kultur überall stattfinden kann.

 

Wie können wir wirklich alle erreichen?

Solche Angebote und Räume müssen natürlich niedrigschwellig sein. Ich befürchte, dass es eine Sisyphusarbeit ist und man jeder Generation wieder neu vermitteln muss, dass sie ihre kulturellen Rechte wahrnehmen. Die Lebenswelten sind einfach zu verschieden und dynamisch – da hilft nur Wiederholung.

Bei Kindern muss man dieses Thema noch stärker institutionell verankern. Kinder und Familien mit Migrationsbiografien können so besser erreicht werden, denn es gibt zum Beispiel den gemeinsamen Erlebnisraum Schule. Noch einmal: In der Schule muss Kultur verankert sein, sie muss ihre Räume für alle Gruppen öffnen. Dann können wir einen sehr weit gefassten Kulturbegriff etablieren. In solchen Räumen treffen verschiedenste Menschen aufeinander und können gemeinsam etwas Neues entstehen lassen. Dabei feiert man miteinander oder man kocht gemeinsam oder spielt zusammen … Kinderkultur ist weit mehr als eine Hüpfburg.

 

Werden die Räume für Kultur in München enger?

Es tun sich immer wieder neue Chancen auf, Räume öffnen sich. Da wäre ich nicht so pessimistisch. Die Frage ist eher, wie man Menschen motivieren kann, diese Räume zu bespielen. Dazu braucht es einerseits gut bezahlte Fachkräfte, die Kinder- und Jugendkultur ermöglichen – und es braucht eine breite ehrenamtliche Basis, um das alles bezahlbar für die Familien zu machen.

Es darf nicht vom Glück abhängen, ob man kulturell aktiv werden kann. Alle Kinder die hier in München leben, müssen diese Möglichkeiten bekommen.

 

Da wäre ja auch die Stadtplanung gefragt, um Fehler aus der Vergangenheit zu vermeiden …

Man kann es immer besser machen. Bei der Stadtpolitik rennt man da offenen Türen ein mit Kinderprojekten und guten Konzepten. Ich weiß, dass die Bürgermeister*innen mitziehen. Parallel dazu muss man an den Lehrplänen ansetzen. Hier ist das Land in der Pflicht, die Gewichtung der Lehrplaninhalte zugunsten von Kunst und Kultur neu auszuloten.

 

Deine Botschaft an die Kinder dieser Stadt?

Seid laut, lasst es krachen, lasst euch nix gefallen und traut euch, das zu machen, worauf ihr Lust habt! Alle dürfen laut sein und müssen ihren Raum für Kinder- und Jugendkultur einfordern. Die Stadtgesellschaft muss diese Räume und Gelegenheiten ermöglichen. Kinder- und Jugendkultur darf nicht nur für Gutverdienende zugänglich sein.

Interview: Marko Junghänel